…gegen Armut tun sie nix

In einem reichen Land muss niemand arm sein. Welche Schlüsse aus dem Armutsbericht 2021 zu ziehen sind, und wo sich die Ampel weigert. Eine Analyse.

Beunruhigende Zahlen kurz vor Weihnachten: Die Armut in Deutschland hat im Pandemiejahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht. 13,4 Millionen Menschen in unserem Land sind arm – das ist beinahe jeder Sechste! Noch nie wurde auf der Datenbasis des Mikrozensus eine höhere Armutsquote gemessen. Das zeigt der Paritätische in seinem neuen Armutsbericht.

Gut, dass viele Medien diesen traurigen Rekord thematisieren. Ein paar Zusammenhänge kommen dabei allerdings zu kurz. Deswegen hier eine erste Auswertung des Berichts – und ein paar Hinweise, welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen:

  • Zunächst einmal: Der besorgniserregende Aufwärtstrend der Armutsquoten ist nicht neu. Er ist seit 2006 zu beobachten. Die Regierenden können sich also nicht mit Corona rausreden. Die hohen Armutszahlen im vergangenen Jahr lassen sich auch nicht allein mit höherer Arbeitslosigkeit erklären. Ein Großteil der Armen bezieht kein Hartz IV – weil sie entweder knapp über der Einkommensgrenze liegen, oder weil sie wegen der demütigenden Jobcenter-Praxis trotz Anspruch kein ALGII beantragen.
  • 34,5 Prozent aller erwachsenen Armen sind erwerbstätig, und immer mehr arbeitende Menschen sind arm! Das betrifft sowohl abhängig Beschäftigte, vor allem aber auch kleine Selbständige. Mit 13 Prozent lag die Armutsquote unter Selbständigen im Vergangenen Jahr gleich um 44 Prozent höher als im Vorjahr – eine schlimme Entwicklung.
  • Die riesige Zahl von arbeitenden Armen macht deutlich, wie falsch die Neoliberalen und Konservativen mit ihrem einseitigen Dogma „Sozial ist, was Arbeit schafft“ liegen. Richtig ist: Sozial ist nur, wer gleichzeitig Dumpinglöhne, Tarifflucht und prekäre Beschäftigung bekämpft. Und wer dafür sorgt, dass die Gewinne auch in den Händen der arbeitenden Menschen landen. Darum: Betriebsräte und Gewerkschaften stärken, her mit guten Löhnen und mehr allgemeinverbindlichen Tarifverträgen! Das Vetorecht der Arbeitgeber gehört abgeschafft! Für gute Arbeit: Prekäre Beschäftigung eindämmen, sachgrundlose Befristungen abschaffen!
  • Insgesamt sind nur 35 Prozent der Armen erwerbslos – und ein großer Teil von ihnen steht dem Arbeitsmarkt nicht kurzfristig zur Verfügung. Zum Beispiel wegen der Betreuung von kleinen Kindern oder alten Menschen, wegen einer laufenden Ausbildung oder Weiterqualifikation. Das bedeutet: Wer Armut bekämpfen will, muss auch ganz direkt die Einkommenssituation dieser Menschen verbessern. Her mit der sanktionslosen Mindestsicherung von mindestens 1.200 Euro statt Ampel-Umbenennungstricks und nur zeitweiser Aussetzung von Sanktionen!
  • Weiter zeigt der Bericht: „Bildung, Bildung, Bildung“ ist wichtig, aber ersetzt nicht eine Politik, die die Rechte und das Einkommen von Beschäftigten gegenüber den Unternehmen und Konzernen stärkt. Denn Armut ist nicht nur ein Problem für Menschen mit niedriger formaler Bildung. Die Hälfte aller Armen hat ein mittleres Qualifikationsniveau, knapp 14 Prozent sogar ein hohes.
  • Über die Jahre hinweg zeigt sich außerdem: Die wirtschaftliche Entwicklung und die Armutsentwicklung haben sich weitgehend entkoppelt. Eine falsche Politik, die Konzerne und Superreiche schont, sorgt dafür, dass der Wohlstand dieses Landes nicht seinen Weg zu den Armen findet. Zunehmender gesamtgesellschaftlicher Reichtum geht mit steigenden Armutsraten einher. Darum brauchen wir eine aktive Umverteilung von Reichtum. Her mit Vermögenssteuer und Vermögensabgabe für Superreiche, her mit einer sozial gerechten Steuerreform, die kleine und mittlere Einkommen entlastet!
  • Der Armutsbericht offenbart darüber hinaus das Totalversagen der Regierung in unterschiedlichen Politikbereichen, unter anderem in der Rentenpolitik: Rentnerinnen und Rentner sind inzwischen überproportional häufig von Armut betroffen. Das ist eine neue Entwicklung. Bis 2013 spielte diese Gruppe statistisch eine nur untergeordnete Rolle. Ebenfalls deutlich überdurchschnittlich von Armut betroffen sind Kinder und Jugendliche. Weil die Regierung noch immer keine vernünftige Familienförderung gebacken bekommt, stellt Nachwuchs nach wie vor ein großes Armutsrisiko dar. Fast jede dritte kinderreiche Familie und sogar mehr als 40 Prozent aller Alleinerziehenden sind arm! Die Armutsquote unter Frauen ist nach wie vor mehr als zehn Prozent höher als unter Männern. Insbesondere Altersarmut ist besonders häufig weiblich. Auch in diesen Bereichen bleibt die Ampel bisher wichtige Antworten schuldig. Wir werden weiter Druck machen.